Mädchen steht am Fenster und liest einen Brief
© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Wolfgang Kreische

Erwerbung und Wiederentdeckung des Gemäldes in Dresden

Die Erwerbung des „Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster“ für die Sammlung des sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen August III. im Frühjahr 1742 beruhte auf einem glücklichen Zufall.

Erwerbung und Wiederentdeckung des Gemäldes in Dresden

Nachdem der sächsische Gesandtschaftssekretär Samuel de Brais den Ankauf von 30 Gemälden aus der Pariser Privatsammlung des Prinzen von Carignan vollzogen hatte, erhielt er das „Brieflesende Mädchen“ als Zugabe „außerhalb des Handels“, wie er in einem Brief erwähnte. Damals galt das Gemälde als „Rembrandt“, ein Beweis dafür, dass man sich der außergewöhnlichen Qualität des Werkes durchaus bewusst war. Der Maler Johannes Vermeer war dagegen zu jener Zeit außerhalb der Grenzen Hollands völlig in Vergessenheit geraten.

Brustbild Augusts III. mit Perücke und im Harnisch, Pastell
© SKD, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut
Anton Raphael Mengs, Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen, als König von Polen August III., 1745

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In Dresden ist das Gemälde erstmals im Gemäldeinventar von Pietro Guarienti (1747/50) genannt und wird dort wiederum als ein Werk in der „Manier Rembrandts“ geführt. Der erste gedruckte Dresdener Galeriekatalog von 1765 verzeichnet es als ein Werk der Rembrandt-Schule, eine Zuschreibung, die 1783 durch die an den Rembrandt-Schüler Govaert Flinck präzisiert wurde. Seit 1826 galt das „Brieflesende Mädchen“ in Dresden dann als ein Gemälde von der Hand des ebenso wie Vermeer in Delft tätigen Pieter de Hooch.

Mädchen steht am Fenster und liest einen Brief
© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Wolfgang Kreische
Johannes Vermeer, Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster, um 1657–1659, Detail

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Doch dann besuchte der französische Kunsthistoriker Etienne Joseph Théophile Thoré (1807–1869) alias William Bürger 1859 auch die Dresdener Galerie. Er war auf einer spektakulären Rundreise durch europäische Gemäldesammlungen, die der Untersuchung von Bildern galt, die dem rätselhaften, von ihm als „Sphinx von Delft“ bezeichneten Künstler zugeschrieben werden könnten. In der Gemäldegalerie fand er seine Vermutung bestätigt, in der „Briefleserin“ ein weiteres eigenhändiges und darüber hinaus signiertes Werk des „Delfter Vermeer“ gefunden zu haben. Nachdem schon vor Thoré-Bürger andere Kunstgelehrte die seinerzeit ganz unpopuläre Idee der Zuschreibung des Dresdener Bildes an Johannes Vermeer erwogen hatten, setzte sich die Erkenntnis endlich in den 1860er Jahren durch. Sie fand schließlich Eingang in den Dresdener Galeriekatalog Julius Hübners von 1862, wo das Gemälde nun richtig und dauerhaft unter „Meer (Jan van der). Né à Delfft vers 1632“ aufgeführt wurde.

Eintrag zu Johannes Vermeer im Galeriekatalog von Julius Hübners 1862

Eintrag zu Johannes Vermeer im Dresdener Galeriekatalog von Julius Hübners 1862
© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Bettina Forger
Eintrag zu Johannes Vermeer im Dresdener Galeriekatalog von Julius Hübner 1862

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Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wurden mehrere Restaurierungsmaßnahmen an der „Briefleserin“ durchgeführt, die in den Restaurierungsakten der Dresdener Gemäldegalerie dokumentiert sind. Es handelte sich dabei um die Doublierung des Bildes auf eine neue Leinwand, um Reinigungen der Oberfläche, die Entfernung alter und das Aufbringen neuer Retuschen sowie weiterer Firnis-Schichten auf die Malschicht. Im frühesten Dresdener Restaurierungsvermerk von 1838 heißt es zudem, die „Briefleserin“ sei „gewiß schon früher unter den Händen eines Restaurators gewesen“.

Gal.-Nr. 1336_Vermeer_unter Restauratorenlampen

Gemäldeausschnitt unter dem Licht von Restauratorenlampen
© SKD, Foto: SKD

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Während des zweiten Weltkrieges wurde die „Briefleserin“ sicherheitshalber in ein Bergedepot auf der Festung Königstein in der Sächsischen Schweiz verbracht. Nachdem das Gemälde wie beinahe alle Werke der Dresdener Gemäldegalerie 1945 als Kriegsbeute in die UdSSR transportiert worden war, wurde es nach knapp zehnjährigem Verbleib gemeinsam mit der Sammlung 1955 an die Regierung der DDR zurückgegeben. Seit Juni 1956 ist Vermeers „Briefleserin“ wieder in der Dresdener Gemäldegalerie im Semperbau ausgestellt.

Große Holzkisten geladen werden auf einen LKW geladen
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Gertrud Rudloff-Hille
Abtransport der Kisten mit Dresdener Gemälden vor dem Puschkin Museum in Moskau im Oktober 1955
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